Autobahnkapelle
Waren Sie schon mal in einer Autobahnkapelle? Ehrenamtliche tragen dazu bei, dass aus diesen Räumen „Raststätten für die Seele“ werden. Was das genau bedeutet, zeigt der folgende Artikel über die Kasseler Autobahnkapelle an der A7 (HNA am 29. Januar 2023).
Raststätte für die Seele
UNSERE GOTTESHÄUSER - Autobahnkapelle am Lohfeldener Rüssel besteht seit 2009
Raum für Spiritualität: Auf dem Autohof Lohfeldener Rüssel, zwischen Schnellrestaurant, Spielhalle und Tankstelle, steht seit 2009 die kleine Autobahnkapelle. Besucher können auf einer Bank (rechts) Platz nehmen. Fotos: Sebastian Schaffner
Lohfelden – Eines der ungewöhnlichsten Gotteshäuser im Kreis Kassel steht zwischen McDonald’s, Spielhalle und Tankstelle, zwischen A7 und A44: die ökumenische Autobahnkapelle am Lohfeldener Rüssel.
Einen Altar sucht man in dem würfelförmigen Betonbau vergebens. Auch klassische Gottesdienste finden am Kreuz Kassel Mitte nicht statt. Für eine Orgel wäre kein Platz – die Kapelle ist gerade mal so lang wie ein Auto: fünf Meter. Glocke, Taufbecken, lange Sitzreihen? Ebenfalls Fehlanzeige. Und trotzdem dürfte das Gotteshäuschen eines der Meistbesuchten weit und breit sein.
„Pro Jahr werden hier 4000 bis 5000 Teelichter entzündet“, sagt Willi Stiel. Der 75-Jährige ist Leiter einer zehnköpfigen Gruppe, die die Kapelle betreut. Die Ehrenamtlichen schauen nach dem Rechten, lassen über Lautsprecher besinnliche Musik erklingen, füllen Kerzen auf und kümmern sich um das Anliegenbuch.
Besucher aus dem In- und Ausland verewigen sich aus unterschiedlichen Gründen in diesem Buch: Einige wollen Gott eine Botschaft übermitteln, sich bedanken oder darum bitten, auf der Weiterfahrt von einem Unfall verschont zu bleiben. Andere schreiben sich die Sorgen von der Seele. „Da sucht auch schon mal ein Schalke-Fan Trost nach einer erneuten Niederlage“, sagt Willi Stiel.
Einer, der sich ebenfalls in der ökumenischen Begleitgruppe um die Kapelle kümmert, ist Herbert Brethauer. Dem 65-Jährigen ist besonders ein Bucheintrag im Gedächtnis geblieben: Polizisten waren in der Hochphase der Pandemie kurz vor Weihnachten auf dem Weg zu einer Montagsdemo und baten schriftlich um Beistand: „Gott, pass bitte auf uns auf, wir wollen nächstes Wochenende mit unseren Familien Weihnachten feiern“, hätten sie geschrieben. „Das war sehr bewegend“, sagt Brethauer, der sich im evangelischen Kirchenvorstand in Lohfelden engagiert.
Ein Arzt aus Südhessen, der damals offenbar eine schwere Zeit durchlebte, machte zeitweise immer freitags Rast am Lohfelder Rüssel und griff in der Kapelle regelmäßig zum Stift, erinnert sich Willi Stiel. Irgendwann schrieb er, warum ihn denn niemand erhöre?! Stiel, der früher im Landeskirchenamt arbeitete, sah den Eintrag und schrieb seine Handynummer daneben. „Am nächsten Freitag klingelte mein Telefon. Ich habe ihm dann einfach zugehört.“
Wie viele Menschen in der Kapelle ihre Seele auftanken, wird nicht erfasst. „Das ist auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass die Leute kommen“, sagt Stiel. Die Kapelle sei der „einzige spirituelle Ort in Nordhessen, der von Menschen, gleich welcher Glaubensüberzeugung, und von Glaubensdistanzierten genutzt wird.“
Gebaut wurde die Kapelle 2009 vom Rastplatzbetreiber SVG in Kooperation mit der Evangelischen Kirche, dem Bistum Fulda und dem Lohfeldener Unternehmer Heinz Fehr. Geöffnet ist sie rund um die Uhr. Das sei auch das Erfolgsrezept, sagt Brethauer: „Müsste man erst den Schlüssel in einem Restaurant holen, wäre das eine Schwelle, die viele nicht überschreiten würden.“
Von außen ist die 5,50 Meter hohe Gebetsstätte eher unscheinbar. Ein Kreuz über dem Eingang – viel mehr erinnert nicht an eine Kapelle. Geht man hinein, fällt auf, dass der Innenraum nicht nach vorn gerichtet ist wie andere Kirchen. Das Herzstück steht in der Mitte: eine kreuzförmige Stele aus brasilianischem Quarzstein, die von 120 LED-Lämpchen durchleuchtet wird. Besucher finden auf einer schmalen Holzbank Platz – mehr Sitzmöglichkeiten gibt es nicht. Gegenüber befindet sich ein kleiner Trost-Altar, daneben Teelichter und das Anliegenbuch.
Wer nach der spirituellen Rast weiterfahren will, kann sich ein Reisesegenkärtchen mit Bibelsprüchen mitnehmen, bevor es wieder raus geht auf den lauten Parkplatz mit Schnellrestaurant, Spielhalle und Tankstelle.
Anfangs, so Herbert Bretthauer, habe er sich um Vandalismus, Pommestüten und Burgerboxen Sorgen gemacht. Doch bis auf wenige Ausnahmen gebe es kein Müllproblem oder andere nennenswerte Vorfälle, sagt er: „Gott sei Dank.“