Was gibt dir Energie? – Eine Lernreise voller Ideen und Begegnungen

Goodpractice - Engagementförderung in den Niederlanden

Praxisexkursion vom 26.08.bis 29.08.2025 nach Deventer.

Du kennst das bestimmt: „Das haben wir ja noch nie so gemacht.“ „Das funktioniert bei uns eh nicht“ „Was sollen wir noch alles tun?“ „Wir wollen doch nur das Gute bewahren.“ „Uns fehlt das Geld dafür.“
„Wer soll das alles machen?“ „Ich würde ja gern, aber…!“

Gleichzeitig lastet enormer Reformdruck auf allen Aktiven in der EKKW. Mitglieder werden weniger, der Wettbewerb um Ehrenamtliche nimmt zu und die Arbeitsverdichtung sowieso. Was jetzt nicht konkret angefasst und verändert wird, verschärft die Probleme von morgen.

Auch in den Niederlanden kennt man diese Herausforderungen – und hat sie bereits vor über zehn Jahren mutig und kreativ angepackt und teils unerwartete Lösungen gefunden. Drei Tage lang haben wir uns vor Ort inspirieren lassen und auch selbst mit Hand angelegt.

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Wir, das waren sieben Freiwilligenmanagerinnen ( Janneke Daub, Lena Dohmann, Michaela Gans, Nicole Hessenmüller, Dr. Katrin Juschka,  Simone Möhring, Frauke Worttmann,  aus den Kirchenkreisen, Esther Koch von der Gemeindeentwicklung, sowie Anneke Gittermann und Frank Gerhold von der Fachstelle Engagementförderung, die die Lernreise mit Partnern aus den Niederlanden vorbereitet haben.

Gemeinsam mit unserem Ansprechpartner und Reiseführer vor Ort, Wouter Hijweege von Community Partnership Consultants, haben wir eine sorgfältig vorbereitete Lernreise unternommen. Die als Goodpractice-Exkursion angelegte Reise eröffnete uns neue Perspektiven und Einblicke in die Engagementkultur der Niederlande.

Wir erlebten in zwei Tagen einen Praxiseinsatz für armutsbetroffene Menschen bei der Stichting Present, begegneten Haupt- und Ehrenamtlichen im diakonisch geprägten Meester Geertshuis, konnten uns von der niederländischen Ja-Kultur in der Freiwilligenagentur Deventer Doet überzeugen, staunten über die engagementfreundliche Überzeugung des Teams der Geflüchtetenintegration der Stadtverwaltung und bekamen die Kirchenvorstandstätigkeiten der Lebuinuskirche vorgestellt.

Es war ein spannender Einblick, der uns motiviert hat, weil mit Pragmatismus und heiterer Gelassenheit in den Niederlanden so viele Dinge anders als bei uns angegangen werden.

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1. Etappe: Wenn Kirche anpackt – das Modell Stichting Present

Gegründet wurde Stichting Present von der niederländischen Kirche, um Einsätze im Gemeinwesen von Kirchenmitarbeiter:innen zu organisieren und kirchliches Engagement im Gemeinwesen sichtbar zu machen.

So sollte die Wahrnehmung von „Kirche“ verändert und nach außen hin sichtbar gemacht werden: Kirche packt auch an!

 Stichting Present ist eine niederländische Initiative, die Freiwillige, die helfen wollen, mit Menschen zusammen bringt, die Unterstützung brauchen – und schafft dabei echte Begegnungen, die eine Kultur des Füreinanders fördern. 

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Und wir durften es ausprobieren und selbst zu Gartenschere und Spaten greifen. Unter den Augen neugieriger Nachbarn haben wir zwei armutsgefährdeten, alleinstehenden Frauen mit einem Einsatz in ihrem Garten geholfen.

Dabei ging es nicht nur um Unkraut und Hecken, wir konnten konkrete Unterstützung leisten, mit den Frauen ein paar gemeinsame Stunden verbringen und so auch Spannungen mit Vermietern und kritische Blicke aus dem Umfeld entschärfen. Wir haben geschwitzt, viel gelacht und dabei wieder einmal gespürt, wie erfüllend freiwilliges Engagement sein kann.

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2. Etappe: Was gibt dir Energie? Freiwilligenagentur Deventer Doet

Bei Deventer Dout, der lokalen Freiwilligenagentur, haben wir uns über Ansätze der Engagementförderung informiert, z.B. die Vision, dass jeder in Deventer lebende Mensch freiwilliges Engagement kennenlernen soll.

Wir bekamen Einblicke in die Gewinnungsstrategien von jungen Menschen und konnten ein immer größer werdendes Mobilitätsprojekt bestaunen, bei dem Freiwillige eine Fahrgelegenheit für diejenigen anbieten, die wegen Beeinträchtigungen nicht mehr mobil sind.

Wie Talentförderung aussehen kann, konnten wir in einem Workshop als Spiel ausprobieren.

Schließlich haben wir erstaunt gehört, dass ein Masterstudiengang zum Thema Freiwilligenmanagement geplant ist.

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Wir nahmen als Team die spielerische Herausforderung an, eine Magic-Mystery-Box öffnen und die Aufgabe im Inneren lösen. Mission impossible? Nein. In weniger als 30 Minuten war die Box offen und die Herausforderung gelöst. Im Nachgang haben wir reflektiert wer welche Talente eingebracht hat, um erfolgreich zu sein.

Bei Deventer Doet haben wir erlebt, wie Engagement nicht nur organisiert, sondern inspiriert wird. Die zentrale Frage lautet nicht „Was kannst du für andere tun?“, sondern „Was gibt dir Energie?“ – eine Haltung, die Engagement nicht nur ermöglicht, sondern nachhaltig trägt. Sie verändert, wie Engagement gedacht und gelebt wird – und vielleicht können wir sie in die EKKW tragen.

3. Etappe: Eindrücke aus dem Meester Geertshuis: ein Ort, der den Menschen sieht

Wir waren zu Gast im Meester Geertshuis, einer „gastfreundliche Huiskamer“ mitten in Deventer. Dort durften wir erleben, mit welcher Haltung hilfebedürftigen Menschen begegnet wird und mit welcher Überzeugung die Freiwilligen vor Ort handeln.

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Das Meester Geertshuis ist ein Ort, an dem Menschen einfach sein dürfen, Unterstützung finden und neue Kraft schöpfen. Im Mittelpunkt steht nicht ein System, sondern der Mensch mit seinen aktuellen Bedürfnissen.

Ob Hunger, finanzielle Not oder die Suche nach einem Schlafplatz – es wird flexibel reagiert und Hilfe angeboten, die wirklich gebraucht und angenommen werden kann. Der Leitsatz lautet: „Was getan werden kann, das wird auch getan.“

Für uns – geprägt von einer deutschen Mentalität, in der oft „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ mitschwingt – war dieser Ansatz besonders beeindruckend. Hier wird Vertrauen gelebt. Die dortige Freiwilligenmanagerin beschrieb eindrucksvoll, wie wichtig es ist, sich um die zu kümmern, die Hilfe anbieten wollen und dafür geeignete Rahmenbedingungen brauchen. Supervision für Ehrenamtliche ist hier selbstverständlich. 

4. Etappe: Vom Amt zur Aufgabe – wie die Lebuinuskirche Kirchenvorstand anders lebt

Im Hinblick auf die anstehenden Kirchenvorstandswahlen waren wir sehr neugierig auf die Rückmeldungen unseres Reisebegleiters Wouter Hijweege, der seit 6 Jahren selbst im Kirchenvorstand der Lebuinuskirche aktiv ist. Erstaunt haben wir zu Kenntnis genommen, dass es dort keine staatsähnlichen Kirchenvorstandswahlen mehr gibt. Nach einer Reform vor gut 12 Jahren hat man begonnen die einzelnen Vorstandspositionen aufgabenbezogen zu besetzen und die maximale Amtszeit auf 12 Jahre zu begrenzen. Die Vorstände haben die Möglichkeit früher auszusteigen, wenn sich z.B. die Lebensbedingen ändern und ein Engagement nicht mehr passt.

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Dadurch besteht der heutige Kirchenvorstand der Lebuinuskirche aus Menschen mit völlig unterschiedlichen Amtszeiten.

Das braucht jedoch ein tragfähiges individuelles Onboarding, eine prozessorientierte Kommunikation, ein hoch transparentes Wissensmanagement und eine besondere Gruppendynamik, die sehr an Wirkung und dem Erreichen von selbstgesetzten Zielen orientiert ist.

5. Etappe: Gelebte Integration in Deventer: Zwischen Verwaltung und Engagement

Zum Abschluss unserer Exkursion waren wir in der Stadtverwaltung von Deventer zu Gast. Dort wurde uns gezeigt, wie Flüchtlingshilfe – auch unter schwierigen politischen Rahmenbedingungen – durch das Zusammenwirken von Verwaltung und freiwilligem Engagement gestaltet wird. In den Niederlanden ist es Teil des Integrationsprozesses, dass Geflüchtete eine bestimmte Anzahl an Stunden in einem sozialen, niederländischsprachigen Umfeld verbringen. So wird der Kontakt zur Gesellschaft aktiv gefördert und Teilhabe in Engagement-Projekten ermöglicht. Besonders bemerkenswert ist der Fokus der Stadtverwaltung auf die mentale Gesundheit der Geflüchteten. Die oft lange Wartezeit im Asylverfahren hinterlässt Spuren, die ernst genommen werden.

Die Stadtverwaltung Deventer macht deutlich: Die flexible Weiterentwicklung von Integration ist ein zentrales Thema und ohne engagierte Freiwillige sowie eine offene, aufnahmebereite Gesellschaft nicht zu bewältigen.

ERSTAUNLICH

Bei allen besuchten Orten haben wir interessierte und engagierte Hauptamtliche und Freiwillige erlebt, die aus voller Überzeugung Engagementförderung leben bzw. sich aktiv für die Stadtgesellschaft einsetzen. Das war beeindruckend, authentisch und hat uns alle sehr bewegt.

 

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Zwischenfazit: Was hat uns der Blick über den Tellerrand gebracht? Was nehmen wir mit nach Hause?

Auch wenn niederländische und deutsche Menschen einander sehr ähnlich erscheinen, gibt es deutliche kulturelle Unterschiede, insbesondere beim Engagement. In den Niederlanden steht eine ausgeprägte „Ja-Kultur“ im Vordergrund. Du hast eine Idee, um ein Problem zu lösen? Da gibt es die Haltung: Was brauchst Du, um loszulegen? Wenn die Ergebnisse anders sind als erwartet, wird umgesteuert, das Projekt beendet oder etwas Neues entsteht.

Bei uns bleiben gute Ideen oft schon auf der Ebene der Ideenfindung auf der Strecke, weil es Bedenken gibt. Das bremst die Engagementbereitschaft Interessierter. Hier gilt es anzusetzen und eine bejahende, ermutigende Haltung einzuüben. Sie benötigt einen Kulturwandel, Geduld und Vertrauen in mutige Menschen, die bereit sind Neues zu wagen.

Das gilt auch für die Engagementförderung in der EKKW. Wir sind sehr inspiriert zurückgekommen: Wir haben erlebt, wohin es führen kann, wenn couragiert und fehlertolerant Neues ausprobiert wird und sich mit anderen Organisationen vernetzt wird, die auch Gutes tun.

Erasmus+ hat uns die Chance finanziert, über Grenzen hinweg gute Ansätze zu entdecken, die uns bei den laufenden Reformprozessen helfen können. Es ist an uns, daraus etwas zu machen!

Text: Lena Dohmann, Dr. Katrin Juschka und Frank Gerhold Bilder: Fachstelle Engagementförderung